Keine Lieder im Gottesdienst? Die Reformation zeigt: Alles halb so schlimm

Aufgrund der Corona-Pandemie verzichten heute etliche Gemeinden auf das gemeinsame Singen. Schließlich soll so den umherschwebenden Aerosolen vorgebeugt werden. Was heute zumeist als ziemlicher Abbruch des geistlichen Lebens empfunden wird, war in Teilen der Reformation – für uns heute überraschend – ein hohes Ideal. Anders als Martin Luther in Wittenberg, favorisierte der Schweizer Reformator Ulrich Zwingli nämlich zeit seines Lebens einen Gottesdienst ohne jegliche Musik und Lieder. Obwohl Zwingli selbst hochmusikalisch war und in Zürich auch die Einführung von Musikschulen förderte, empfand er hinsichtlich des Gottesdienstes das Singen als unnötige Ablenkung. Er plädierte für ein „Singen im Herzen“ und forderte eine Verkündigung ohne stimmhafte Dekorierung. Erst nach seinem plötzlichen Tod fanden die reformierten Kirchen in der Schweiz einen neuen Zugang zum Singen im Gottesdienst. Auch wenn wir heute die Dinge berechtigterweise anders als Zwingli sehen, so mag die Zürcher Reformation dennoch daran erinnern, dass geistliche Bewegungen auch mal eine Zeit lang ohne das gesungene Wort auskommen können – die Predigt ist das Entscheidende.   

Zum Weiterlesen: Hannes Reimann, Huldrych Zwingli – der Musiker, in: Archiv für Musikwissenschaft, 17. Jahrg., H. 2./3. (1960), 126-141.

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