Jesus ist kein Seehund – die Legende von der grönländischen Bibelübersetzung

Fast jeder hat diese Geschichte schon mal gehört: Als Missionare den Eskimos auf Grönland die biblischen Geschichten erzählten, merkten sie rasch, dass es schwierig war, im Anschluss von Johannes 1,29 von Christus als dem Lamm Gottes zu sprechen. Denn ein Schaf war in den eisigen Gegenden zumeist unbekannt. Und als die frommen Männer und Frauen dann anfingen, die Bibel ins Grönländische zu übersetzen, entschieden sie sich flugs, den Begriff des Schafs in den des Seehunds zu übertragen. Jesus Christus – so lautet diese Erzählung – sei somit zum Seehund Gottes geworden. Und das hätten dann die Inuit endlich auch verstanden.

Diese nette Geschichte hört man immer wieder: in Kindergottesdiensten, in Predigten oder auch bei Rundfunkandachten. Und gerne wird mit dem Erzählen der ernste Hinweis verbunden, dass vieles in der Bibel eben nur ein „Bild“ sei, was man je nach Land und Lage übertragen müsse. Doch so schön diese Geschichte auch ist – so sehr trifft sie leider nicht zu. Die Missionsgeschichte im hohen Norden kennt keinen solchen Bericht von einer derartigen Übersetzungsakrobatik. Sie ist eine moderne Legende, irgendwo einmal erdacht, dann weiter gesponnen und weiter erzählt.

An dieser Stelle ist die niederländische Wissenschaftlerin Thea Olsthoorn zu nennen. Sie hat sich intensiv mit den Herrnhuter Missionaren beschäftigt, die vor über 200 Jahren den Inuit in Labrador und Grönland die christliche Botschaft brachten. Und Olsthoorn weist darauf hin, dass es keine grönländische Bibelübersetzung gibt, in der das „Lamm“ durch einen „Seehund“ übersetzt worden wäre. Wohl gab es immer wieder Anmerkungen in Fußnoten, in denen das noch unbekannte Tier beschrieben wurde, aber mehr auch nicht. Gemeinhin gebrauchte man das norwegische Wort für Schaf, da die norwegische Sprache in den Regionen durch wirtschaftliche Kontakte durchaus geläufig war.

Am Ende bleibt der Eindruck zurück, dass manche biblischen Begriffe sich wohl übersetzen, aber nur schlecht ersetzen lassen. Erklärung ist eben doch oft eine bessere Alternative als Streichung. Also – Mut zu den alten, uralten Wörtern.

Zum Weiterlesen: Thea Olsthoorn, „Wir haben keine Ohren.“ Kommunikationsprobleme und Missionsverständnisse bei der Verbreitung und Rezeption des Christentums in Grönland und Labrador im 18. Jahrhundert, in: Udo Sträter et. al. (Hg.), Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus. Band 39. 2013. Göttingen 2014, 47-85.

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